Symbolbild Bundesverfassungsgericht DER SPIEGEL Wirecard

URTEIL DES BUNDESVERFASSUNGSGERICHTS

DER SPIEGEL siegt im Fall Wirecard – zulässige Berichterstattung

Im Streit um zwei Artikel des Spiegels bezüglich des Wirecard-Skandals obsiegte nun das Nachrichtenmagazin in Karlsruhe. 

Worum geht es?

In den Jahren 2020 und 2021 veröffentlichte DER SPIEGEL zwei Artikel („Inside Wirecard“ und „Wireclan“), welche sich mit dem sogenannten Wirecard-Skandal befassten. In diesen Artikeln beschäftigte sich das Magazin unter anderem mit möglichen weiteren Personen, die neben den Hauptverdächtigen (etwa Marcus Braun und Jan Marsalak) an dem Betrug beteiligt gewesen sein sollen. 

Konkret geht es um dem damaligen Chef des Unternehmens oCap „H.“. Dieser wurde in den „Spiegel“ Artikeln unter anderem als „Schlüsselperson des Skandals“ sowie als „treuer Helfer“ eines der Hauptverdächtigen bezeichnet. Dieser ging dagegen bereits Anfang 2022 im Wege eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung bei dem Landgericht München vor. H. sah in den Bezeichnungen in den Artikeln eine Verletzung seines Persönlichkeitsrechts. 

Verfahrensverlauf

In erster Instanz hatte H. zunächst Erfolg. Das LG München I verbot dem Magazin DER SPIEGEL durch die beantragte einstweilige Verfügung die Text- und Bildberichterstattung, welche unzulässige Verdachtsberichterstattung über H. darstelle.

Diese verletze das Persönlichkeitsrecht des H.
DER SPIEGEL legte gegen diese Entscheidung Berufung vor dem OLG München ein. Allerdings hatte das Magazin auch hier keinen Erfolg. Die Berufung wurde gemäß § 522 Abs. 2 ZPO wegen sogenannter „offensichtlicher Erfolglosigkeit“ vom OLG im Januar 2023 abgewiesen.


Verdachtsberichterstattung – Wann dürfen Medien über den Verdacht einer Straftat berichten? – Geßner Legal Medienkanzlei

Rechtliche Bewertung – Grundsätze der Verdachtsberichterstattung und Kernaussagen des Bundesverfassungsgerichts

Grundsätze der Verdachtsberichterstattung

Das Bundesverfassungsgericht stellt sich gegen die Vorinstanz und stellt verschiedenes bezüglich den Grundsätzen der Verdachtsberichterstattung klar. 

Die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung sind ein von der Rechtsprechung entwickeltes „Prüfungsschema“, welches Aussage über die Zulässigkeit bestimmter Berichterstattung durch Presse und Medien treffen soll. Denn im Falle von Straftaten oder Belange, welche für die Öffentlichkeit erhebliche Relevanz haben, gibt es Grenzen für die Zulässigkeit von Verdachtsäußerungen.

Ist eine Straftat von überwältigendem öffentlichen Interesse, so kann es vorkommen, dass eine bestimmte Person oder Personengruppe in der Berichterstattung vorkommt und derart mit der Straftat in Verbindung gebracht wird, dass dadurch der Verdacht geäußert wird, diese Person habe die Straftat begangen. Häufig ist dies bei der Berichterstattung über laufende Ermittlungsverfahren der Fall. Die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung sollen sicherstellen, dass durch die Berichterstattung Verdächtigte keiner Vorverurteilung durch die Öffentlichkeit widerfahren. Zudem sollen Verdächtigte auch vor dauerhafter Rufschädigung, etwa durch die gewaltige Prangerwirkung, die solche Berichterstattung haben kann, geschützt werden. Grund dafür ist, dass auch Verdächtigte, welche ja gerade noch nicht rechtskräftig verurteilt sind, vor dem „Gericht der Öffentlichkeit“ geschützt werden sollen.

Deshalb beinhalten die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung vier Kernpunkte. Voraussetzung für eine zulässige Verdachtsberichterstattung sind ein Mindestbestand von Beweistatsachen, eine vorherige Anhörung des Verdächtigten, keine Vorverurteilung durch die Berichterstattung und das grundsätzlich bestehende öffentliche Interesse.  

Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht
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Kernaussagen des Bundesverfassungsgerichts

a. „Inside Wirecard“

Das Bundesverfassungsgericht widersprach in seinem Beschluss teilweise der Auffassung des OLG. Im Fall des zweiten Artikel des „Spiegels“ mit dem Namen „Inside Wirecard“ vertrat das OLG die Auffassung, dass das Magazin mit den Formulierungen „Schlüsselpersonen des Skandals“ und [Teilnehmer eines] „Netzwerks treuer Helfer“ Verdachte gegenüber H. aufstellte. 

Dies entsprach nicht der Auffassung des Bundesverfassungsgericht. Wörtlich hieß es im Beschluss:

Der Artikel vom 5./6. Februar 2021 thematisiert die Rolle des Klägers – wie in der angegriffenen Entscheidung noch gesehen wird – allenfalls vage und ohne erkennbare Zuordnung zu konkreten Vorgängen“ und weiter „Insoweit hat das Oberlandesgericht aber keine nachvollziehbare Einordnung in den Kontext vorgenommen..

Das Bundesverfassungsgericht fordert hier für die Einordnung als Verdacht also eine konkrete Verknüpfung der verdächtigten Person mit einer Tat. Die oben genannten Äußerungen stellten nach der Auffassung der Karlsruher Richter keine Verdachtsberichterstattung dar. Das Gericht sah in dem Artikel eine andere Deutungsmöglichkeit für einen durchschnittlichen Leser des Artikels als die Vorinstanzen und qualifizierte die Bezeichnung als Schlüsselfigur und treuer Helfer als Meinungsäußerung, nicht aber als Verdacht, welcher eine Tatsachenbehauptung wäre. Demnach seien die Regeln der Verdachtsberichterstattung nicht gebrochen, weil eine solche schon gar nicht vorliege. 

a. „Wireclan“

Im Fall des (chronologisch) ersten Artikel „Wireclan“, welcher noch 2020 erschien, stellte sich das BVerfG zunächst auf die Seite der Vorinstanz und gab dieser insoweit Recht, als dass es sich bei den dort getätigten Äußerungen um eine Verdachtsberichterstattung handele. Konkret für die Einstufung als Verdacht verantwortlich sei die Würdigung des Gesamtkontextes und die Rezeption des Artikels durch einen Durchschnittsleser sowie die Formulierung H. habe womöglich „viel damit zu tun“. Die Maßstäbe zur Zulässigkeit einer solchen Berichterstattung seien (so auch die Auffassung des OLG) hier anwendbar. Allerdings monierte das BVerfG, das OLG habe die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung in Bezug auf die Beschwerdeführerin, den „Spiegel“, überspannt.

Einer der Hauptkritikpunkte aus Karlsruhe war, dass das OLG München den geforderten Mindestbestand an Beweistatsachen, ein erforderliches Kriterium für die Zulässigkeit von Verdachtsberichterstattung, verneinte. So stelle die Argumentation des OLG eine Andeutung auf ein „grundlegendes Fehlverständnis des Gewährleistungsgehalts der Meinungsfreiheit“ dar. Die Zulässigkeit einer Verdachtsberichterstattung hänge nicht nur davon ab, dass die Begründetheit des Verdachts wahrscheinlich erscheine. Verdachtsberichterstattung sei gerade nicht daran zu messen, ob mehr als ein Anfangsverdacht vorliege und die Berichterstattung andernfalls unzulässig wäre, so das BVerfG. Das OLG hatte die Verdachtsberichterstattung wegen des nur „Anfangsverdachts“ als unzulässig bezeichnet.

Auch kritisierte das BVerfG die Argumentation des OLG bezüglich des erforderlichen öffentlichen Interesses. Die Messlatte sei hier die Stärke des öffentlichen Interesses. Umso mehr öffentliches Interesse an einer Berichterstattung vorliege, umso schwächer seien die Sorgfaltsanforderungen der Presse gegenüber den Persönlichkeitsrechten des Verdächtigten. Das OLG argumentierte, der Kläger (H.) sei nicht prominent und stehe deshalb nicht im Lichte der Öffentlichkeit. Er habe sich in dieser auch nicht geäußert. Das BVerfG entgegnet dem, dass

das Blickfeld der Öffentlichkeit kontextabhängig zu bestimmen ist und deshalb auch auf denjenigen gerichtet sein kann, der nicht über eine allgemeine Prominenz verfügt, sondern beispielsweise nur einer Fachöffentlichkeit bekannt ist.

Eine grundsätzliche Bekanntheit spiele also für die Berichterstattung nur eine untergeordnete Rolle. Die Stellung des H. begründe aber aufgrund der Nähe zum (enormes Öffentlichkeitsinteresse genießenden) Wirecard-Skandals sehr wohl ein kontextgezogenes öffentliches Informationsinteresse. 

Fazit

Das Bundesverfassungsgericht bringt mit diesem Beschluss etwas Klarheit in das Kriterium des Mindestbestands an Beweistatsachen bei der Zulässigkeit von Verdachtsberichterstattung. Dass auch ein (im strafprozessualen Sinne) Anfangsverdacht ausreicht, um Verdachte in einer Berichterstattung zu äußern, stärk die Stellung der Presse. Außerdem legt das BVerfG fest, dass die Sorgfaltsanforderungen an eine Berichterstattung über eine Person von der schwere der vorgeworfenen Straftat abhängen.

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